5 Jahre Cannabis in der Medizin: die Begleiterhebung endet zum 31.03.2022.
Das „Cannabis als Medizin“ – Gesetz ist am 10. März 2017 in Kraft getreten und regelt seitdem die Verordnungs- und Erstattungsmöglichkeiten von Cannabisarzneimitteln. Um langfristige Erkenntnisse zur Wirkung von Cannabis zu gewinnen, wurde parallel eine Begleiterhebung gestartet, für die Ärzte seit Inkrafttreten des Gesetzes bei der Verordnung von medizinischem Cannabis Daten an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) übermitteln müssen. Dabei wurden beispielsweise Daten zur Diagnose, Dauer der Symptomatik, vorherige Therapien, Nebenwirkungen, Entwicklung der Lebensqualität oder Gründe für einen Therapieabbruch erhoben, sobald Patienten die zugelassenen Fertigarzneimittel Sativex® und Canemes® bei off-label-Anwendung, die Wirkstoffe Nabilon und Dronabinol sowie Cannabisblüten und -extrakte erhielten. Es handelt sich also um Arzneimittel, die außerhalb der in klinischen Studien geprüften Anwendungsgebiete seit 2017 zu Lasten der Solidargemeinschaft der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden können.
Die in den vergangenen fünf Jahren gesicherten Erkenntnisse zum medizinischen Einsatz von Cannabis werden dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zum Ende der Begleiterhebung am 31.03.2022 als Studienbericht übermittelt. Dieser soll dann in den kommenden Monaten Details zur zukünftigen Leistungsgewährung regeln. Vom Prinzip der Arzneimittelzulassung für die Aufnahme in den GKV-Leistungskatalog ist man bisher für Cannabisarzneimittel insofern abgekommen, als dass mit dem § 31 (6) SGB V, eine Leistung von der GKV getragen wird, die nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht. Das bedeutet, dass diese Arzneimittel keine kontrollierten Studien durchlaufen, keinen Nachweis eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses erbracht haben sowie anschließend nicht der frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V unterzogen wurden. Daher ist die Kostenerstattung durch die GKV noch an einen Genehmigungsvorbehalt gebunden, der regelmäßig dazu führt, dass die Kostenübernahme durch die Kassen abgelehnt wird. Grund hierfür ist insbesondere, dass das „Cannabis als Medizin“- Gesetz einen Interpretationsspielraum bei der Definition der vorausgesetzten schwerwiegenden Erkrankung und dem Status der „Austherapiertheit“ offenlässt. Dies spiegelt sich in der heterogenen Rechtsprechung der Sozialgerichte in Verfahren zur Kostenübernahme von Medizinalcannabis wider. Daher ist eine gesetzliche Nachjustierung notwendig.
Ob die Begleiterhebung nun ausreichend Evidenz für eine Novelle liefert, ist zu bezweifeln. Aus Sicht des G-BA stellt die Begleiterhebung lediglich ein Mindestmaß an einer geeigneten und aussagefähigen Evidenzgrundlage zur Regelung der Leistungsgewährung dar. Notwendig wären methodisch adäquate und aussagekräftige klinische Studien mit patientenrelevanten Endpunkten. Die alleinige Erhebung von Routinedaten aus der ärztlichen Praxis seien als Evidenzgrundlage nicht geeignet.
Erste Ergebnisse der Begleiterhebung zeigte eine Zwischenauswertung im Jahr 2020.
Die häufigsten Diagnosen, die eine Verordnung begründeten, waren laut der Zwischenauswertung Schmerz (69 Prozent) und Spastiken, Anorexie/Wasting, Übelkeit/Erbrechen sowie Depression.
Im Indikationsgebiet „Schmerz“ wurde in der Altersgruppe 50-59 Jahre am häufigsten verordnet. Die meisten Patienten litten zum Zeitpunkt der Verordnung bereits 12 Jahre oder länger unter der Schmerzsymptomatik. Am häufigsten wird der Wirkstoff Dronabinol verordnet, auf Platz zwei sind Cannabisblüten. Zu einem Therapieabbruch kam es insbesondere aufgrund von nicht ausreichender Wirkung und in einem Drittel der Fälle wegen Nebenwirkungen, hauptsächlich Müdigkeit und Schwindel. Insgesamt handelte es sich zum Zeitpunkt der Zwischenauswertung um ca. 3000 Schmerzpatienten.
Wesentliche neue Erkenntnisse sind für die Endauswertung nicht zu erwarten. Damit beantwortet die Begleiterhebung also nicht die Frage der tatsächlichen Wirksamkeit und des Nutzen-Risiko-Profils. Auch die Wissenschaft ist derzeit im Bereich der Wirksamkeitsstudien für Cannabis-Behandlungen wenig aufschlussreich. Der potenziellen therapeutischen Breite von Medizinalcannabis steht ein eklatanter Mangel an großen kontrollierten Studien gegenüber, selbst im häufigsten Indikationsgebiet Schmerz. Dies ist nicht zuletzt der fehlenden Patentierbarkeit von Extrakten aus Arzneipflanzen geschuldet. Somit stellt sich die Frage, welche Wissenslücke die Erkenntnisse der Begleiterhebung schließen können und wie der G-BA mit der Leistungsgewährung nach Auswertung der Begleiterhebung weiter verfahren wird.
Wie könnte also Medizinalcannabis in Zukunft den Weg in den Leistungskatalog finden?
Es stellt sich die Frage nach der Arzneimittelzulassung, insbesondere wegen der häufigen Verordnung von Cannabisblüten und -extrakten. Für neue Wirkstoffe würde weiterhin eine Nutzenbewertung in Frage kommen. Dass beides grundsätzlich möglich ist, zeigen die arzneimittelrechtlich zugelassenen und nutzenbewerteten Produkte Sativex® und Epidyolex®. Denkbar ist, dass ein adjustierter Genehmigungsvorbehalt zunächst für einen Übergangszeitraum weiter bestehen bleibt. Die AOK hat dagegen zuletzt einen Selektivvertrag geschlossen, in dem für Ärzte nach Teilnahme an einer Fortbildung keine Kostenübernahmeanträge mehr einreichen müssen. Einige Anbieter haben auch Rabattverträge zur Verordnung von medizinischem Cannabis abgeschlossen. Diese sollen zu einer wirtschaftlicheren Patientenversorgung beitragen und den Zugang zu einer cannabinoidhaltigen Therapie erleichtern.
Perspektivisch und mit Hilfe einer geförderten Forschungsfinanzierung, könnten die meist aus dem Start Up-Bereich kommenden Cannabis-produzierenden Pharmaunternehmen zumindest für ihre Rezepturen und Fertigarzneimittel die für eine BfArM-Zulassung notwendigen Nachweise erbringen und gegebenenfalls nutzenbewertet werden, um auch arzneimittelrechtlich zu einer echten Therapiealternative zu werden.
Denn die wissenschaftlich nachgewiesene Wirksamkeit ist die wichtigste Grundlage für die Verschreibung von Arzneimitteln. Sie schafft Glaubwürdigkeit und erleichtert Leistungserbringern, Therapien zielgenau zum Patientenwohl einzusetzen.